Daniel Löffler · Diplom-Informatiker
für eine menschliche Technik
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Zensustest - Volkszählung durch die Hintertür
In einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Probleme erschreckend zugenommen haben (zum Beispiel die Gewalt in Schulen, Spenden- und Schmiergeldaffären, Einschränkung der Grundrechte und Aufweichung des Datenschutzes nach dem 11. September 2001), kommt ein Fragebogen ins Haus, dessen Beantwortung nicht hilft die anstehenden Probleme zu lösen.
Der als bequem und kostengünstig gepriesene rechnergestützte Zensus wurde vorbereitet,
um der erheblichen Kritik und Ablehnung in der Bevölkerung bis hin zum Boykott
bei den vergangenen Volkszählungen 1983 und 1987 aus dem Weg zu gehen.
Dieser Nachfolger der Volkszählung basiert nicht mehr auf Fragebögen,
sondern auf einer postalischen Befragung der Gebäudeeigentümer in Verbindung
mit in Computern vorhandenen Daten der Melderegister bei den Einwohnermeldeämtern
und der Bundesanstalt für Arbeit. Deren manipulierte Arbeitslosenstatistik
ruft in diesem Zusammenhang berechtigtes Mißtrauen hervor.
Als Vorbereitung für den rechnergestützten Zensus wurde im Juli 2001
das Zensustestgesetz verabschiedet. Dabei wurde sogar das Dritte Sozialgesetzbuch geändert,
damit die Bundesanstalt für Arbeit den Statistischen Ämtern
überhaupt Sozialdaten übermitteln darf.
Zur Prüfung der Zuverlässigkeit der oben genannten Daten für den Zensustest
werden in etwa 4% der Gemeinden (maximal 570) in rund 0,2% (maximal 38.000) Gebäuden
circa 450.000 Bewohner befragt.
Frau Haselwander hat als eine der Befragten Klage gegen den Zensustest eingereicht. Er ist ähnlich wie der Mikrozensus in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Erst langwierige Recherchen brachten uns Klarheit über Kritikpunkte und Risiken. Außerdem wurde ein Fachanwalt für Datenschutz hinzugezogen. Es stellte sich heraus, daß gegen das Zensustestgesetz und den darauf basierenden Zensustest erhebliche verfassungsrechtliche und datenschutzrechtliche Bedenken bestehen:
Im Volkszählungsurteil, mit dem das Bundesverfassungsgericht
die Volkszählung 1983 gestoppt hatte, wurde die Übernahme sämtlicher Daten
aus bereits vorhandenen Dateien der Verwaltung abgelehnt. Für diese Art
der Datenzusammenführung würde ein einheitliches Personenkennzeichen
oder dessen Substitut benötigt, welches schon 1969 als grundgesetzwidrig erklärt wurde.
Aus den Daten der Melderegister wird zwar deutlich,
wer in einem bestimmten Gebäude wohnt, aber nicht, aus welchen Personen
sich ein Haushalt zusammensetzt. Um aus den Daten der Melderegister
Haushalte generieren zu können, müssen laut Zensustestgesetz
30 verschiedene Hilfsmerkmale von den Statistikern gespeichert werden.
Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit
schreibt in seinem Jahresbericht 2000 dazu: "Diese große Zahl von Hilfsmerkmalen
(beispielsweise soll über Eltern-Kind-Verknüpfungen, gemeinsame Einzugsdaten u. Ä.
der Haushaltszusammenhang von Bewohnern simuliert werden) sind damit
nicht mehr Hilfsmerkmale im klassischen statistischen Sinne, die der Durchführung
von Bundesstatistiken dienen. Diese Merkmale stellen zugleich Roherhebungsmerkmale dar,
die bei einer klassischen Volkszählung erst gar nicht anfallen, da die Betroffenen selbst
Auskunft zu dem entsprechenden Erhebungsmerkmal (beispielsweise die Erklärung
zu einem gemeinsamen Haushalt) geben. Die Grenze zwischen Hilfs- und Erhebungsmerkmal
und damit auch die datenschutzrechtlich gebotene frühzeitige Trennung
von den Erhebungsmerkmalen droht unterlaufen zu werden. In der technischen Durchführung
könnte sich das so darstellen, daß für die eine Aufbereitung
bestimmte Hilfsmerkmale frühzeitig gelöscht werden, sie für eine andere Aufbereitung
jedoch komplett erhalten werden müssen, um plausible Erhebungsdaten zu gewinnen.
So verwendete Hilfsmerkmale bilden damit ein Surrogat
eines intelligenten Personenkennzeichens, mit dem nicht nur die Person selbst identifiziert,
sondern auch ein komplexer Zusammenhang zusammenlebender Personen abgebildet wird,
um abschließend das Merkmal der Haushaltszugehörigkeit zu bestimmen."
Weiterhin verlangt das Bundesverfassungsgericht
eine "möglichst frühzeitige (faktische) Anonymisierung,
verbunden mit Vorkehrungen gegen eine Deanonymisierung".
Dem widerspricht das Vorgehen beim Zensustest: Die Hilfsmerkmale werden nicht
gleich nach Eingang der Fragebögen beim Statistischen Landesamt abgetrennt,
so wie es beispielsweise bei der Volkszählung 1987 geschehen ist, sondern gemeinsam
mit den Antworten der Befragten in Computern gespeichert
und erst nach einem unverhältnismäßig langen Zeitraum
von maximal zwei beziehungsweise fünf Jahren gelöscht.
Dazu ist in der Pressemitteilung vom 04.12.2001 des Berliner Datenschutzbeauftragten
Prof. Dr. Hansjürgen Garstka zu lesen: "So wird beispielsweise der Name, das Alter,
das Geschlecht, das Ein- oder Auszugsdatum,
die Anmeldung oder Abmeldung bei der Meldebehörde,
der Zuzug aus einer anderen Gemeinde, das Datum der letzten Eheschließung
sowie der Verweis auf Ehepartner und Kinder
länger in den Rechnern der Statistik gespeichert als bei Direktbefragungen."
Nach dem Löschen der Hilfsmerkmale besteht weiterhin das Problem der Deanonymisierung.
Es wurde durch Simone Fischer-Hübner an der Universität Hamburg
1986 wissenschaftlich nachgewiesen, daß Personen aus «anonymen» Volkszählungsdaten
und Mikrozensusdaten mit geringem Aufwand reidentifiziert werden können.
Durch die Weiterentwicklung der Computertechnik seit damals
wird die Deanonymisierung noch einfacher. Diese Erkenntnis ist Stand der Wissenschaft
und hätte im Zensustestgesetz Berücksichtigung finden müssen.
Zudem wird in diesem Gesetz erstaunlicherweise von der Möglichkeit der Erprobung
von Pseudonymisierungsverfahren kein Gebrauch gemacht, obwohl in § 3a BDSG
im Rahmen des technisch möglichen
bereits eine Verpflichtung zur Pseudonymisierung aufgenommen ist. Prof.
Dr. Klaus Brunnstein, Informatiker an der Universität Hamburg, stellt fest:
"Es genügt dabei keineswegs, wie von den Statistikern (und Politikern) angenommen,
daß die "Hilfsmerkmale" gelöscht werden; vielmehr muß (etwa durch Löschung,
Vergröberung oder "Störung" der Daten) ausgeschlossen werden, daß einzelne Personen
durch Kombination mehrerer gespeicherter Merkmale identifiziert werden können."
Die Auswahl der Befragten erfolgt gemäß Zensustestgesetz durch ein "mathematisches Zufallsverfahren". Dieses wird aber nicht näher erläutert, obwohl die statistischen Ämter laut Volkszählungsurteil zu einer öffentlichen sachlichen Information auch über die Art der statistischen Datenverarbeitung verpflichtet sind.
Es wurde auch nicht die zunehmende Gefahr bedacht, daß sich Unbefugte Zugang zu den Daten verschaffen und diese entanonymisieren. Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2001 von Innenminister Schily bestätigt einen Anstieg der Computerkriminalität um 39,9%.
Das Statistische Bundesamt verweist zur Begründung des Zensustests auch darauf,
daß Volkszählungen in der ganzen Europäischen Union durchgeführt werden. In dem EU-Mitgliedsland Österreich ist die Zählung im Jahre 2001 abgeschlossen worden.
Dort kam es zu solch eklatanten Verstößen gegen den Datenschutz mit massiven Eingriffen
in die Lebensführung der Menschen, daß sich die ARGE DATEN
(Österreichischer Datenschutz in Wien) einschalten mußte.
Beim Zensustest ist jeder Befragte auskunftspflichtig und wird bei Verweigerung
mit Zwangsgeldern belegt. Prof. Dr. Hans J. Kleinsteuber,
Politologe an der Universität Hamburg, sagt: "Ich kenne kein anderes Land,
in dem der Zensus strafbewehrt ist." Außerdem verletzt eine Zwangsbefragung
das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, weil der Betroffene nicht selbst
über die Preisgabe seiner Daten entscheiden kann. Befragungen auf freiwilliger Basis
würden einen weniger schweren Eingriff in die Rechte der Bürger bedeuten.
Solche Erhebungen werden beispielsweise schon seit langem und auch häufig
in der Marktforschung verwendet und erbringen dort verläßliche Ergebnisse.
Eine weitere Begründung für den Zensustest ist, daß ein Allgemeininteresse bei der Durchführung amtlicher Statistiken vorläge für eine an den Prinzipien und Richtlinien des Grundgesetzes orientierte staatliche Politik. Sinnvolle Alternativen wurden aber gar nicht erst in Betracht gezogen. Prof. Dr. Klaus Brunnstein schlägt vor: "Auch eine andere Planungsmentalität könnte amtlicher Datennot abhelfen: wenn öffentliche Planungen frühzeitig mit Betroffenen erörtert würden, wären die Bürger eher bereit, in wirklich begründeten Fällen auch freiwillig an erforderlichen Datenerhebungen aktiv und mit korrekten Antworten teilzunehmen. Gerade das Verfassungsgericht hat die Schaffung öffentlicher Akzeptanz eindringlich gefordert."
Beim Zensustest werden Daten gesammelt um den Ist-Zustand festzustellen. So können die anstehenden gesellschaftlichen Probleme nicht gelöst werden. Durch eine Volksbefragung, in der jeder freiwillig Angaben für die Statistik liefern und auch Verbesserungsvorschläge einbringen kann, würde sich das oben genannte Allgemeininteresse herauskristallisieren. Das schöpferische Potential in den Menschen würde wachgerufen werden, und die Mitverantwortlichkeit im dringend notwendigen gesellschaftlichen Umwandlungs- und Weiterentwicklungsprozeß würde gefördert werden.
Autoren: Ines Haselwander und Daniel Löffler, Neustadt/Ostsee
Dieser Artikel wurde veröffentlicht in der Zeitschrift «Datenschutz Nachrichten» 2/2002,
herausgegeben von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e. V.
Ein weiterführender Artikel zum Thema Zensustest erschien in der Zeitschrift «Gegenwind» Nummer 166 vom Juli 2002,
herausgegeben von der Gesellschaft für politische Bildung e. V.
Daniel Löffler · Diplom-Informatiker